HERBERT GRÖNEMEYER
Interview von ROGER WILLEMSEN (Wilhelmsens Woche, ZDF, 24.04.1998)
ICH BIN EIN OSTERKIND - IMMER MIT DEM KOPF DURCH DIE WAND...

Herbert Grönemeyer sprach mit Roger Willemsen über Berlin, neue musikalische Entwicklungen und sein
Jugendprojekt in Leipzig


Zunächst aber, meine Damen und Herren, begrüße ich den Mann, der die erfolgreichste deutsche Rockplatte aller Zeiten
produziert hat, der jetzt 5 Jahre lang eine Pause genommen hat, mit einem neuen Album rausgekommen ist, das die Fach-
welt und das Publikum gleichermaßen zu Enthusiasmusstürmen herausgefordert hat und von dem man sagen kann: Er ist
einer der profiliertesten und meinungsstärksten deutschen Rockmusiker, nämlich HERBERT GRÖNEMEYER.
Herbert, früher hast Du Musikwissenschaft studiert, heute studiert die Musikwissenschaft Dich, wer hat mehr davon?


Herbert Grönemeyer: Ich war mehr eingeschrieben, als daß ich da war, also hauptsächlich... Ich war in Bochum eingeschrie-
ben, weil ich nicht wußte, was ich werden wollte, für Jura und Musikwissenschaften, hab Jura studiert, 5 Semester ungefähr.
Musikwissenschaften war mehr so als Alibi, da bin ich kaum gewesen. Da bin ich nur zur Musikhochschule gegangen nach
Köln, hab Komposition studiert, aber auch nur ein Jahr, weil, die haben immer an meinen Kompositionen rumgestrichen, da
hab ich gesagt: "Das klingt aber gut.", da hat der Professor gesagt: "Nee.", da hab ich gesagt: "Doch, ich find, das klingt
gut." und da bin ich gegangen.

Und das gibts heute auf Platte?

Das kann man heut auf Platte sich dann anhören, ja.

Was sagt denn die Musikwissenschaft dazu: Der komponiert ja falsch, der versteht ja nichts davon?

Ja, da gibts Gesetze, wie man komponiert: Daß man keine Oktavparallelen macht, keine Quintparallelen, obwohl das auch
alle großen Komponisten gemacht haben...

...und Du machst das auch?

Weiß ich nicht mehr, so analysier ich meine Musik nicht, aber grundsätzlich versuch ich halt einfach, was Schönes zu
schreiben und was dann dabei rauskommt, weiß ich dann auch nicht.

Nun hat sich - unabhängig von der Musikwissenschaft - die Situation in Deutschland für Musik sehr verändert, das Spektrum
ist sehr viel größer geworden, was musikalische Angebote anbelangt. Gibts da irgend so etwas wie 'n zu Hause, wie n sym-
pathetisches Umfeld, wie Leute, die Dich selber anregen; ist so was entstanden in Deutschland?


Ja, ich glaube auf jeden Fall ist die Szene breiter geworden, das auf jeden Fall. Das Selbstverständnis, deutsch zu singen,
ist größer geworden, es gibt Bands, zu denen ich sicher nicht gehöre, so Hamburger Schule, z. B. Die Sterne, Tocotronics,
Blumfeld, das sind Leute, die mit deutscher Sprache... oder auch die ganzen HipHopper und Rapper, Fanta4 oder Fettes
Brot, die gehen mit deutscher Sprache in den neunziger Jahren natürlich wesentlich gelassener um und lässiger um, also
holen aus der Sprache raus, was rauszuholen ist und das reizt mich auch. Ich versuche auch für mich selber in der Sprache
mich auch weiter zu entwickeln und das inspiriert einen selber schon, ja.

Gibt es auch Leute drunter, die mal das alte Grönemeyer-Bild losgeworden sind, des Engagierten, des Querulanten, des
Menschen, der immer mit der Meinung vorne ist und engagiert ist und so, die sagen: Mit dem kann man auch musikalisch
was anfangen?


Ja, das weiß ich nicht, das muß man die selber fragen, ich kann nur für meinen Teil...

...das kommt bei Dir nicht an?

In Fragmenten würde ich mal sagen, also vielleicht von Journalisten oder so, die mir das mitteilen. Oder jetzt Reaktionen auf
die Platte, wo Leute sagen: Wir konnten mit deiner Musik bisher nichts anfangen, aber die Platte ist zum ersten Mal was,
wo wir sagen: Das finden wir auch interessant. Also ich versuche einfach, weiter zu machen, mich zu entwickeln, und ich
glaube, ich bin eine Facette in der breiten und hoffentlich immer breiter werdenden deutschen Musikszene.

Dann hab ich eine gute Nachricht für Dich, nämlich: Guildo hat Dich lieb! Wird die Liebe erwidert?

Ich muß dazu sagen: Ich kenn das Lied überhaupt nicht. Als die Ausscheidung war, war ich in London, an meiner Platte hab
ich gearbeitet. Ich kenn die Nummer nicht, ich hab einmal n Fragment gesehen, auf VIVA glaub ich, so die letzten zehn Se-
kunden.

Man muß das auch nicht kennen, man muß bloß wissen, wer es vorstellt.

Na, ich glaub, so die Eulenspiegelei, so den Spiegel vorzuhalten dem deutschen Schlager und dieser ganzen Grand Prix
d'Eurovision, was ich auch relativ öde finde auch grundsätzlich, das find ich schon schrill, wie er das gemacht hat, denen das
vorgehalten... Hart würde es, wenn jetzt der deutsche Schlager so ne Renaissance erleben würde, das würde ich also nicht
so gerne sehen, aber diese Aktion, die er gefahren hat, das ist schon ziemlich eulenspiegelhaft und klasse.

Aber Ralph Siegel ist kein satisfaktionsfähiger Gegner für Dich?

Ralph Siegel kenne ich nur von vor zwanzig Jahren, da hatte ich meinen ersten Plattenvertrag, den hatte ich in München und
da galt ich da als die sogenannte "Röhre aus dem Kohlenpott", wurde ich da rumgereicht. Und ich hatte einen ziemlich dik-
ken Vertrag und wußte gar nicht, was da alles drin stand, da hab ich nur drunter geschrieben: Es wird nichts gemacht ohne
meine Zustimmung. Da hab ich auch fünf Jahre nichts gemacht. Aus der Zeit kenne ich auch noch Ralph Siegel. Aber sonst
muß ich sagen, hab ich mit der Szene nichts zu tun, die interessiert mich eigentlich auch gar nicht, die find ich auch echt
öde.

Wir haben jetzt erstmal nur über das musikalische Umfeld gesprochen, es hat sich auch im Videobereich einiges geändert
in Deutschland. Siehst Du Dir n Video von Sabrina Setlur an und sagst: Das ist gut gemacht, das ist professioneller, als es
früher der Fall war?


Ja, auf alle Fälle, der Thomas Job, der das gemacht hat, ist sicher n unheimlich interessanter Mann. Ich denke auch, die Vi-
deosprache entwickelt sich weiter. Ich für meinen Teil habe auch versucht, den für mich... Ich arbeite mit dem Anton Corbijn
zusammen, der seit zehn Jahren für mich die Fotos macht, mit dem hab ich n Video gedreht. Die Videosprache auch in
Deutschland von deutschen Regisseuren ist wesentlich stärker geworden, wesentlich spielerischer, das gehört einfach dazu.
Die entwickelt sich auch weiter und der (Thomas Job) macht gute Videos, eindeutig.

Hilft auch, daß die Musik aus Deutschland auch sich dem europäischen Markt eher assimilieren kann, als das früher der
Fall war, oder?


Ja, zumindest, daß ein anderes Selbstbewußtsein entsteht, daß man einfach das Gefühl hat, man kann deutsch singen,
man hat was zu erzählen, man hat grade jetzt, in so ner Zeit, grad auch mit der Wiedervereinigung und was alles auf uns ein-
bricht, kann man auch Geschichten erzählen, wie man hier in Deutschland lebt, kann man auch so n Lebensgefühl ausdrük-
ken. Und das ist halt in der Rockmusik ein guter Platz dafür, und ich denke, das Selbstverständnis, deutsch zu singen, wird
immer größer, und da hat man auch was zu erzählen, ja.

Also Wiedervereinigung ist für Dich ein Erlebnis, wo Du sagst, also das muß in Deine Texte Eingang finden, es muß das
Lied zur Wiedervereinigung geben von Grönemeyer?


Na, das klingt jetzt bißchen viel. Natürlich sind auf meinen Platten... Auf LUXUS war ein Lied, wo ich auch fand, daß wir den
Osten einfach überrannt haben, "Hartgeld"...

...gegen die Währungsunion?

...gegen die Währungsunion, daß es einfach überrannt wurde, man einfach sich nicht Gedanken gemacht hat. Man kann das
nicht einfach aufkaufen und sich dann nicht mehr drum kümmern. Deshalb hab ich dann auch so n Jugendheim gegründet in
Leipzig, wo ich mich um rechtsradikale Jugendliche kümmer, denen ich einen Ansprechpartner biete, damit die von ihrem
Druck einfach mal loskommen. Es gibt Lieder wie "Grönland" von CHAOS, wo ich über die Situation eines jungen Ost-
deutschen singe, über den ganzen Frust, den er erlebt, auch zu Hause mit seinen Eltern, die so Visionen hatten mit der
Wiedervereinigung, die jetzt einfach zu Hause sitzen und sagen: "Das haben wir uns alles ganz anders vorgestellt." Und der
auch versucht, irgendwie mit dem Klima klar zukommen. Und ich lebe jetzt seit dreieinhalb Jahren in Berlin, da kriegt man
natürlich tagtäglich diese Vorurteile, diese Krämpfe, die Sprachlosigkeit zwischen Ost und West, speziell aber in der älteren
Generation, die junge Generation geht da schon inzwischen sehr entspannt damit um. Aber da ist Berlin natürlich n toller
Platz, da mit zu sein und das mitzukriegen tagtäglich.

Sag noch einmal zu diesem Projekt, was Du eben nur so nebenher erwähnt hast. Das ist aus "Die Härte" finanziert worden,
und das ist ein Jugendheim in Leipzig-Grünau - glaub ich - heißt der Ort. Bist Du da gewesen und guckst und verfolgst das
tatsächlich, was da passiert?


Das wär jetzt bißchen überheblich, wenn ich sage, daß ich da ständig vor Ort bin. Also meine Idee war, mit dem Geld, das
ich von Jugendlichen kriege, einfach das nicht nur zu Hause zu lagern, sondern auch was zu tun, einfach deren Situation zu
erleichtern. Es war einfach so, nach der Wiedervereinigung haben sich die deutschen Politiker keine Gedanken darüber ge-
macht, wenn sie einfach Jugendheime schließen, gerade auch in Ostdeutschland, dann zerschlagen die dort Strukturen, an
die die gewöhnt waren; Anlaufstellen, die kann man nicht einfach aus Sparmaßnahmen zerschlagen und sich dann wundern,
daß die Kids dann auf der Straße stehen und immer aggressiver und wütender werden. Und dann bin ich hingegangen, an
die Stadt Leipzig rangetreten und gesagt: "Paßt auf, in Grünau wollt ihr grad n Jugendheim schließen, ich biete euch an, ich
finanzier das, wenn ihr das offen laßt und wenn wir dann dem Jugendheim ein anderes anschließen, für Jugendliche, die da
nie vorher reindurften", nämlich Rechtsradikale - ich sag mal Rechtsradikale klingt falsch, aber Rechtsausleger. Und da hat
dann die Stadt Leipzig gesagt: "Oh, das klingt ja irgendwie ganz interessant, das hatten wir noch nicht." Das hat dann ein
Jahr gedauert, bis wir das durchgezogen haben. Und inzwischen ist es so, das wird die Stadt Leipzig auch bestätigen, die
ganze Aggression in dem Viertel ist total zurückgegangen - ist n Riesen-Plattenbau-Viertel, da leben 30000 Menschen. Und
es ist uns einfach gelungen, denen einen Ansprechpartner zu bieten, wir haben den geholfen bei Jobsuche, bei ihren Prozes-
sen, bei Wohnungssuche und es ist inzwischen soweit - das ist Millimeterarbeit - daß man hingehen kann, auch in so ner
Stadt wie Leipzig - aufzeigen kann und sagt: Guckt, wenn ihr so was aufrecht erhaltet, ihr euch um Jugendliche kümmert,
und das gilt nicht nur für Leipzig, das gilt für ganz Deutschland; man kann nicht jammern und schreien und das wird immer
aggressiver und radikaler, wenn man denen alles wegschlägt und dann am besten noch n Lauschangriff macht und die alle
belauschen will. Das ist völlig absurd, in sich absurd. Man muß diese Strukturen aufrecht erhalten und diesen Menschen, die
einfach auf der Straße mit ihren Energien nicht wissen, wo sie hinwollen, einfach sagen: Paßt auf, hier habt ihr n Ansprech-
partner, erzählt von euren Dingen. Und dann kriegt man wenigstens den Druck raus. Damit bekehrt man die nicht alle, das
ist keine Missionsarbeit, das ist letztendlich einfach mal ne Chance, daß die von ihren Sorgen einfach mal rauskommen.

Wenn Du heute, sehr heimisch geworden in Berlin - glaub ich...

Ja!...

...in den letzten 5 Jahren, wenn Du heute in den ehemaligen Ostsektor gehst, fühlst Du sofort, daß Du ne alte Grenze
überschreitest, oder ist das nicht mehr fühlbar?


Überhaupt nicht. Also für mich sowieso nicht. Ich bin ja der sogenannte "Restdeutsche". Ich hab ja mit diesem Berlin keine
Probleme. Ich komme dahin, ich sehe das als Ganzes, ich sehe das als Einheit. Die Westberliner haben größere Probleme
mit der Wiedervereinigung. Aber die Ostberliner sind unheimlich vital, man geht abends nur noch in den Osten aus, man
geht, wenn man abends ausgeht, nach Ostberlin, man spürt da unheimlich ne Wachheit, die sind neugierig, die wollens
wissen. Die sind zum Teil erfrischender als wir Westler, weil die noch nicht so eingefahren sind in ihren Denkstrukturen. Also
das macht Spaß... Aber ich nehm das nicht so wahr, ich nehm das wahr als eine große Stadt, die meiner Meinung nach...
ich hab grad n unheimlich schönes Buch gekriegt zum Geburtstag, von Cees Nooteboom, das ist n holländischer Schrift-
steller, der schreibt in dem Buch "Rückkehr nach Berlin" - das ist so n ganz schmales Buch - der schreibt: Er wundert sich
über das Gejammer von Deutschen oder dieses Tränenselige; diese Kraft, die von der Stadt ausgeht, die er da erlebt, er
kennt Berlin 30 Jahre - glaub ich - das geht mir genauso. Die Stadt ist sehr inspirierend, die mach Spaß, an die Zukunft zu
glauben und einfach zu glauben: Es gibt noch ein Leben nach JETZT und das hat die Stadt nun mal, weil da Ost und West
konkret tagtäglich aufeinandertrifft.

Herbert wird religiös in Berlin...

(lacht) Ich bete jetzt.

...man glaubts nicht...

Ich bin jetzt kein Fremdenverkehrswerber für Berlin - weiß Gott nicht - ich kann nur sagen...

...oder für Leipzig-Grünau...

...überhaupt nicht, aber ich will nur erklären, wenn man die Medien liest, liest man über Berlin immer ein Bild, als wenn dort
nur Sodom und Gomorrha wär...

Wärs nur so...

...oder nur Hunde rumrennen oder jeder nur n Hund aufm Arm hat...

...oder Parlamentarier...

...ja, die werden da eh nicht vorkommen, die werden sich noch wundern, wenn sie nach Berlin kommen, die kommen da gar
nicht vor. In Bonn kennen die jeden persönlich mit Handschlag, aber in Berlin sind die einer unter vielen. Also ich will damit
nur sagen: Die Stadt ist sehr anregend, bei allem Muff... Es fängt grade an, es ist für mich wie n Fußballer, der mal klasse
gespielt hat aber erst mal Luft für die ersten 3 Minuten hat. Also das dauert noch lange. Aber letztendlich dieses Draufprü-
geln, dieses "Oh Hilfe, Hilfe, was ist denn da?", das erinnert mich auch so n bißchen ans Ruhrgebiet damals, das kenne ich
noch vom Ruhrgebiet. Die haben immer gesagt: Da ist alles dreckig, die können keinen richtigen Satz sprechen und was
auch immer. Und das, muß ich sagen, verbindet mich auch mit Berlin.

Gibt auch noch ne andre Brücke. Man muß nämlich sagen: Seit Grönemeyer in Berlin ist, ist Hertha BSC in der Bundesliga
ganz fest, und seit er da weg ist aus Köln und Bochum, sind Köln und Bochum auf Abstiegsplätzen oder kurz davor - kein
Zusammenhang?


(lacht) Ja, ich bin zuständig für das Waschen der Trikots von Hertha, ich bin Zeugwart, und da hab ich natürlich auch großen
Einfluß auf die spielerische Kultur. Aber ich komm aus m Ruhrgebiet, da ist Fußball Lebensart.

Jetzt hast Du eben Deinen Geburtstag erwähnt, Du bist forty something geworden...

42

42 - darf man sagen?

Ja, ja.

Hats wenigstens ne Midlife Crisis gegeben oder irgend n degeneriertes Wohlstandssyndrom oder so was?

Oh Gott! Nee, ich hatte auch nie n Stimmbruch... - Die war immer so? - Die war immer so, die Stimme. - Der kommt noch,
ich sag Dir! - Vielleicht kommt das noch, ja. - Das klingt wie Pavarotti. - Deshalb bin ich ja nach Berlin gegangen, das hilft
mir, zumindest an die nächsten 40 Jahre zu glauben. Hats an sich nicht gegeben. Wohlstandssyndrom: Natürlich, wenn
man so Erfolg hat und Geld verdient, damit setzt man sich schon auseinander. Aber Midlife Crisis, also toi toi, vielleicht heu-
te, nach der Sendung oder so, weiß nicht, aber sonst an sich nicht, geht noch.

Aber es könnte ja sein, daß mit 42 man sagt: Die Wut ist nicht mehr ganz so frisch, der Enthusiasmus ist nicht mehr ganz so frisch, die Illusionen sind nicht mehr ganz so blauäugig und das muß dann auch in ne Platte Einfluß nehmen.

Nein, im Gegenteil, die Wut ist nach wie vor da, die Frage ist immer: Wie äußert man die, wie kommt man an Menschen
heran, wie formuliert man das auch in Texten. Was für ne Kraft kann ne Platte ausstrahlen, was für ne Atmosphäre hinterläßt
die bei dem, der die hört und ich glaube, das kann man auch nie an Textzeilen festmachen sondern ne Platte hinterläßt ein-
fach ne Atmosphäre. Und die soll einfach einem Mut machen - und wenns nur für ne Minute ist, daß man sich einfach gut
fühlt - und ne Kraft hinterlassen. Und das ist immer ne Frage, wie man zu der Zeit, wo man ne Platte macht, wie man meint,
die Menschen ansprechen zu können. Und ich hab die überhaupt nicht verloren - im Gegenteil: Ich versuch mich immer zu
entspannen. Ich bin natürlich so n Osterkind, die wolln immer mit dem Kopf durch die Wand. Aber grundsätzlich ist die nicht
verloren gegangen - weiß Gott nicht...

"Kampfsänger" sagt Deine Band über Dich.

Ja ja. Peter Zadek hat immer zu mir gesagt: Ich soll vor jeder Vorstellung erstmal eine Stunde Waldlauf machen, damit ich
schon in der ersten Minute n vernünftigen Ton rausbringe.

Du bist so einer, der geht an den Parkplatz und sagt: "Mit welchem Recht stehen Sie auf meinem Parkplatz. Ich lasse Sie
abschleppen!"


Nein, nein. Ich bin kein Pedant und kein Blockwart. Aber meine Energie... Ich bin halt einer, dems ganz gut tut, wenn er erst
einmal durchatmet und dann was sagt. Fällt mir schwer.

Gut. Jetzt waren wir eben bei den Texten. Jetzt muß ich Dir mein Lieblingszitat zu den Texten der neuen Platte, die wirklich
enorme Resonanz gehabt hat, von der viele sagen: Es ist die rockigste, die Du je gemacht hast, die frischeste... Die Platte
hat - glaub ich - ne unheimliche Vorresonanz - soweit ich weiß - sowohl im Verkauf wie in der Kritik. Die BILD AM SONN-
TAG schreibt so herrlich: "Auf seiner neuen Single nuschelt und brummelt er wirre Texte." - Ist das nicht herrlich?


Ja. Ich finde, das ist sehr präzise gesehen für n Journalist der BILD- Zeitung, denke ich, geh ich davon aus, das ist sehr gut
getroffen, glaub ich. Wenn der das nicht versteht, das glaub ich, ist auch gezielt so gedacht, für den hab ich die Platte auch
nicht gemacht.

Aber früher hat man gesagt: Wenn ich was nicht verstehe, muß ich doof sein. Heute sagt man: Wenn ich was nicht
verstehe, muß der doof sein.


Ja, das meine ich. Es schlägt auf ihn selber zurück. Das ist sein Dilemma. Dafür kann ich nichts. Also, wenn der meine
Sprache und meinen Gesang nicht versteht, dann muß er sich ne andre Platte kaufen. Also ich denke, das ist nicht mein
Problem. Ich mache die Platte nicht... Ich versuch die auch so zu machen... Ich mal auch kein Bild für Menschen, sondern
ich mal ein Bild so, das es so ne Kraft ausdrückt von mir. Dann kann man sich das angucken und sagen: Das betrifft mich
oder nicht. Aber wenn der das schreibt, ist das - find ich - ne Ehre.

Und die Deutschen lieben ja englische Musik, weil sie ja die englischen Texte zum großen Teil nicht verstehen. Bist Du schon auf die Situation eingegangen, Stimme weiter zurückgemischt, eher in die Instrumente mit eingebettet, so daß man tatsächlich nicht alles verstehen muß?

Also ich glaube, die Stimme ist nichts anderes wie n Instrument. Das hat mit unserer Geschichte zu tun, mit unserer Ver-
gangenheit. Wir sind sehr skeptisch, wenn jemand deutsch singt. Das heißt, das muß hieb- und stichfest sein. Das führt
dazu natürlich, wenn man das nach vorne mischt oder n Vortrag hält oder n politisches Lied schreibt, dann fällt das Ganze,
was man unten gemacht hat, das fällt in den Hintergrund. Da kann man sich gleich mit der Gitarre hinsetzen. Und für mich
ist die Stimme immer - oder mein Versuch ist, die Stimme in die Musik einzubetten oder so porös zu machen wie die Spra-
che, daß die Musik da durchkann, daß das ein Bestandteil wird. Da kann man den Text lesen und sagen: "Aha" aber da
wirkt nach wie vor das Ganze. Ansonsten zerschlage ich immer - wenn ich ein ganz wichtiges Statement über die Musik
singe - zerschlage ich dann die Musik, da ist die überflüssig. Es muß sich integrieren lassen, es muß auch mal zurück-
fallen, man muß es auch mal nicht verstehen, das kann man ja dann lesen. Aber wenn mans mal verstanden hat, dann bleibt
das Ganze. Die Atmosphäre, die dann übrig bleibt, die ist nicht zerstört durch den Gesang. Das ist schon wichtig. Das ist n
Spiel. Wir wollen aber gern... Das kann ja jeder bei sich nachvollziehen, wenn er ne deutsche Nummer hört, klebt er sofort
am Radio, wenn er ne englische Nummer hört, bügelt man weiter oder fönt sich die Haare. Das ist ja auch ne Qualität, daß
wir vernünftige Texte schreiben - das mein ich damit nicht. Aber grundsätzlich sollte man auch lernen, auch das Ganze zu
genießen und nicht seziererisch zu hören. Das ist wie beim Essen: Wenn ich esse, soll ich sitzen, dann trink ich noch was
und sag: "Mensch, war das n schönes Essen." Aber nicht beim ersten Löffel sagen: "Was ist denn da drin, was haben Sie
denn da reingemacht - aah, sehr interessant." - "Muß mir das schmecken?" - "Machen Sie das mit Koriander? Ich esse
Koriander nicht so gerne - aber ist ganz interessant wie das jetzt so kommt" - naja.

Bei der letzten Platte gabs bei Dir Fotos, da hatte Herbert Herbert im Arm. Jetzt gibts n Video, da verfolgt Herbert Herbert.
Man hat so das Gefühl, es ist was Schizoides in der Situation. Vor allem: Herbert sprengt Herbert noch in die Luft zu guter
Letzt. Oder sagen wir mal: Der Parker-Herbert sprengt den Helmut Lang- oder den Prada-Herbert in die Luft oder?


Ja, es konnte ja nur einer kommen heute abend. Also einer mußte ja auf der Strecke bleiben. Nein, das war ne Spielerei...

Unten Parker, oben Prader oder so, ja?

Drunter? Ich weiß nicht, was ich jetzt drunter habe. (zeigt auf seine Jacke) Das ist ?... van ...?

Der holländische Autor?

Der belgische Fußballer. Es ging darum - es war n Spiel - einfach zu zeigen, ich verfolg mich selber und der eine ist eben so
das Alte, das Konservative, der versucht, alte Strukturen zu erhalten - "Bleibt alles anders" - mehr so das "BLEIBT". Der
andere versucht, einfach entspannter, neuer - nicht so aufgestylt - der bleibt übrig, also den Mut zu haben, auch alte Konven-
tionen zu verlassen und einfach ne Vision, n Aufbruch zu wagen. Also darum gehts in dem Video. Also im Grunde genom-
men haben wir uns nicht jetzt irrsinnig viel dabei gedacht, wir fanden die Idee auch schrill, wenn ich hinter mit selber herlaufe.

Und da kommts.

(Video "Bleibt alles anders" wird gezeigt, Beifall)

Danke.

"Bleibt alles anders" - Benjamin von Stuckrad-Barre hat sehr schön geschrieben: "Den Titel hat er deshalb so gut gewählt,
weil er eigentlich wollte, daß der Stehsatz, den die Journalisten schon haben 'Ach wieder mal derselbe Grönemeyer' gleich
wieder rausgenommen werden muß." Was ist das Anderste an dieser Platte, wenn man so sagen kann, das was sie am
meisten unterscheidet?


Na sie ist - ich bin selber Keyboarder - sie ist sehr stark wieder keyboard-orientiert. Ich hab mit nem Programmierer zusam-
mengearbeitet in London. Sie ist sehr atmosphärisch, sehr viel mit Geräuschen, mit Atmosphären unterlegt, mit Klangtep-
pichen. Sie ist sehr keyboardlastig und programmiert - das würd ich sagen, ist das "Andere". Auch BOCHUM war ne Platte,
die hab ich komplett selber auch sehr viel mit Keyboards eingespielt - deshalb auch dieses ganze Geklimper da. Und jetzt
ist es wieder ne Platte, die sehr stark so ist, wie ich auch meine Lieder schreibe, mit Keyboard, mit kleinen Loops, wo ich
dann Flächen lege. Das haben wir einfach so im Schichtverfahren komplettiert. Zum ersten mal so konsequent, wie ichs
immer schon mal machen wollte.

Das ist er, das war er: Herbert Grönemeyer - vielen Dank!