HERBERT GRÖNEMEYER
Interview von STEFFEN RIEDEL (Radio Ri online, 27.04.1998)
UNSER SCHIFF SINKT GERADE!

Grönemeyer über Deutschland, Politik, Familie und seine Konzerte in der Schweiz

Du bist seit vielen Jahren ein Star in der deutschsprachigen Musikszene. Promotion und Interviews hast Du doch eigentlich
gar nicht mehr nötig
.

Für mich ist es bei jeder neuen Platte wichtig, mit Journalisten zu sprechen. Man kriegt mit, welche Gefühle so eine Platte
transportiert. Hinzu kommt, daß ich mich erklären kann. Ich mache das jedesmal sehr gerne. Außerdem habe ich so was ja
schon 5 Jahre lang nicht mehr gemacht. Für mich ist es deshalb auch sehr wichtig, eine Reaktion auf mein neuestes "Baby"
zu erhalten.

Du nennst Dein neues Album "Alles bleibt anders" liebevoll Dein Baby. Deine Arbeit bedeutet Dir offenbar sehr viel.
Welchen Stellenwert nehmen denn Deine echten Babys und Deine Frau in Deinem Leben ein?


Meine Familie bedeutet mir alles. Allerdings ist man als Musiker ein Egomane Man nimmt sich und seine Arbeit immer un-
heimlich wichtig. Man dreht sich um sich selber, schreibt von sich, stellt die Musik immer in den Vordergrund. Aber am
Schluß ist mir meine Familie immer noch einen Tick wichtiger als meine Musik.

Dein Privatleben ist weitgehend unbekannt. Keine Homestorys von Herbert und seinen Lieben. Wie kommt das?

Nee, so was will ich nicht! Ich habe mich schon ganz am Anfang meiner Karriere mit Händen und Füssen gegen die YeIIow
Press gewehrt. So habe ich mich und meine Familie für die Blätter uninteressant gemacht. Man ist auch immer ein wenig
mit Schuld, wenn man von denen nicht in Ruhe gelassen wird. Ich habe auch gar kein Recht, meine Familie in die Öffentlich-
keit zu zerren. Es ist schon so schwer genug für meine Kinder, normal groß zu werden. Mit einem Vater wie mir und mit
dem bekannten Namen entspannt aufwachsen zu können, ist nicht einfach. Ich schotte meine Kinder und meine Frau ab.
Und so soll das auch bleiben.

Du machst seit 20 Jahren Musik. Bist ein Megastar geworden. Erfolg verändert. Läßt Starallüren aufkeimen. Kennst Du das?

Wenn man die Leute in den Konzerten, die Plattenkäufer oder die Menschen, die dir Briefe schicken, nicht mehr versteht.
Wenn man nicht mehr begreift, worums wirklich geht im Leben. Wenn man das Gefühl hat, man ist was Besonderes. Dann
hat man Allüren. Kann nicht mehr hinhören. Wird blasiert. So eine Veränderung kann man bei vielen Stars sehen. Ich hoffe,
bei mir nicht!

In Zeitungsberichten kann man lesen, daß mit dem Album "Alles bleibt anders" ein neuer, vollkommen veränderter, radi-
kaler Grönemeyer präsentiert wird. Demnach hast Du in den letzten 5 Jahren eine Metamorphose durchgemacht, bist anders
geworden.


So ein Quatsch. Solche Zeilen sind Plattenfirmendeutsch. Keine Ahnung, was die sich dabei denken. Die Platte ist neu,
okay. Natürlich habe ich mich musikalisch weiterentwickelt. Ich arbeite wieder keyboardorientiert. Ich habe versucht, die
Platte zum Abbild meiner Persönlichkeit zu machen. Jede Platte klingt anders als die davor. Und das habe ich jetzt mit
"Alles bleibt anders" auch wieder versucht. Die beinhaltet Einflüsse der letzten 5 Jahre. Aber einen neuen Grönemeyer gibt's
nicht. Wie soll das gehen? Immerhin werde ich ja auch immer älter.

Deine Texte treffen die Gefühle der Menschen. Jedes Album spiegelt die Seele der Gesellschaft. Wie machst Du das?

Ich denke nicht anders als die Menschen, die mich interessieren. Ich beschäftige mich mit den Menschen. Mit der Musik der
Menschen. Ich suche mir aus der Zeit, in der wir leben, meine Sachen raus. Und da unterscheide ich mich nicht von den
Leuten, die sich für mich interessieren. Und das lasse ich dann auf meiner Platte einfließen. Ich probiere aber auch immer
neue Sachen aus. Gehe Risiken ein. Ich möchte schließlich auch nicht zu meiner eigenen Kopie und Karikatur werden. Grö-
nemeyer bleibt unberechenbar. Ich möchte für mich selber und für die Leute die meine Platten hören attraktiv bleiben.

Gibt es denn deutsche Musiker, die zu ihrer eigenen Karikatur geworden sind?

Ich möchte jetzt nicht über andere Musiker herziehen. Das wäre schon heftig. Aber in Deutschland erliegt man schnell dem
Problem, so bleiben, wie man ist. Guck Dir mal den Schimanski an. Der muß nach 20 Jahren immer noch den Schimanski
spielen. Oder der Derrick muß für die nächsten 400 Jahre den Derrick geben. Die Deutschen mögen das so. Wenn man da
nicht selber aufpaßt, fängt man irgendwann an, neben sich zu stehen. Dann liefere ich mir selber den Grönemeyer. Und das
darf nicht passieren. Hinzu kommt, daß ich seit dreieinhalb Jahren in Berlin wohne. In dieser Stadt muß man was machen,
was aufregend ist, was neu ist. Sonst ist man in der Stadt falsch. Aber es gibt viele Deutsche Künstler, die haben in den
letzten 10 Jahren nichts Interessantes mehr gemacht. Die sind kein Risiko mehr eingegangen. Da gibt's ja genug Beispiele.
Leute, die in den 80er Jahren angefangen haben, links zu denken. Die kriegen heute von Dieter Thomas Heck die Goldene
Stimmgabel und von der "Bunten" ein Bambi verliehen. Da sage ich aha, die wollten also im Grunde gar nichts anderes als
zum Establishment zu gehören. Und das war nie das, was mich interessiert hat.

Was interessiert Dich denn?

Mich interessiert eine deutsche Musikszene. Die soll breit werden. Von Selig über Sterne, über fettes Brot, über Fanta4,
über Tocotronics. Wir müssen selbstbewußt werden. Wir haben ja schließlich auch was zu erzählen. Wir haben unsere ei-
gene Art, Dinge zu erzählen. Wie die Film- und Literaturszene. Und da möchte ich meinen Beitrag leisten. Ich möchte immer
besser als Grönemeyer sein. Ich möchte in dieser Szene eine eigene Identität haben. Stark sein. Das führt dazu, daß ande-
re auch immer stärker werden.

Du möchtest etwas Einmaliges schaffen. Etwas einmalig Deutsches. Bist Du denn selber typisch deutsch?

Na sicher bin ich ein Deutscher! Ich komme da her, bin da aufgewachsen, mit all' den Traditionen. Natürlich bin ich Deut-
scher. Ich singe davon, ich erzähle davon in meinen Liedern. Aber das ist ja auch kein Makel. Deutsch zu sein ist völlig in
Ordnung.

Hat man es Dir im Ruhrpott krumm genommen, daß Du nach Berlin abgehauen bist?

Krumm genommen nicht! Aber das ist generell ein Problem in Deutschland. Berlin kriegt ja die gleichen Prügel wie das Ruhr-
gebiet. Man kennt die Stadt gar nicht und beschreibt über die einen solchen Schwachsinn. Selbst der "Spiegel" oder die
"Süddeutsche Zeitung" schreiben zum Teil Artikel über Berlin, da glaubt man, von denen war noch nie einer da. Da stehen
Sachen wie Molloch oder Hundeverseucht und von Kriminalität. Ich war vor kurzem in Hamburg und habe erfahren, daß es
nirgends mehr Kriminalität gibt als in der Hansestadt. Aber die Journalisten schreiben weiter über Berlin, als gäbe es dort nur
Mord und Totschlag. Aber im Ruhrgebebiet hat mir keiner krumm genommen, daß ich nach Berlin gezogen bin. Ich bleibe
selbstverständlich ein Kind des Ruhrpotts. Das wird sich auch nicht ändern. Nun lebe ich in Berlin. Bis vor kurzem wußte gar
keiner, wo ich lebe. Ich habe im Grunde genommen immer sehr zurückgezogen gewohnt, keiner wußte, wo.

Jetzt wohnst Du in Berlin. Deutscher gehts ja wohl nicht mehr?

Nein, Berlin ist nicht so typisch deutsch, wie alle glauben. Die Berliner sind wie die Menschen im Ruhrgebiet. Schroff. Aber
sehr herzlich. Mit Berlinern oder Ruhrpöttlern kann man Freundschaften fürs Leben schließen. Berlin ist aufregend durch die
Ost-West- Beziehungen. Da prallen 2 Kulturen aufeinander. Berlin ist nicht so faschistisch, wie es immer dargestellt wird.
Hitler hat Berlin nur für seine Machenschaften adaptiert. Der war nicht mal Berliner. Hitler war Österreicher und Katholik. Ber-
lin ist protestantisch. Hitler hatte in Berlin nur wenige Wähler. Alle anderen Großstädte haben viel mehr für die Nazis gewählt
als die Berliner. Berlin zeigt aber eine Facette von Deutschland, die man miterleben muß. In Berlin kann man leicht leben.
Man braucht nicht viel Geld. Man wird als Mensch und nicht nach seinem Portemonnaie beurteilt. Und das ist eigentlich
untypisch für die Deutschen.

Es gefällt Dir, deutsch zu sein. In Deiner bekanntesten Filmrolle spieltest Du einen typischen Deutschen in den 40er Jahren.
Einen jungen Wehrmachtssoldaten auf einem U-Boot. Hat diese Rolle irgendwas bei Dir ausgelöst?


Das war eine Schauspielerrolle. Natürlich mit einem sehr delikaten Inhalt. Der Film läuft jetzt als Director's Cut in England.
Ich habe mir den Streifen in London angeguckt. Das ging schon unter die Haut. In dem Film fahren wir ja gegen England.
Aber selbst die Engländer haben im Kino mitgefiebert. Wo man doch weiß, daß speziell die Engländer große Vorbehalte uns
Deutschen gegenüber haben. Das hat mir gezeigt, daß der Film gelungen ist. Krieg hat doch gar nichts mit Nationalitäten zu
tun. Krieg ist einfach ein Absurdum und ein brutaler Zustand. Da geht es um Menschen, gleich welcher Nationalität.

Vor einer Woche waren in Sachsen- Anhalt Wahlen. Die rechtsradikale Deutsche Volks Union hat auf Anhieb 13 Prozent
der Stimmen erhascht. Einem Volk gegenüber, das Neo-Nazis in die Regierung wählt, sollte man Vorbehalte haben!

Ja. Und das macht mir auch Angst. Aber das ist eine Reaktion auf die Wiedervereinigung. Die Leute im Osten fühlen sich
verraten und verlassen. Ich kriege das selber mit, weil seit 4 Jahren ein Jugendheim in Leipzig habe. Ich betreue da radikale
Jugendliche. Da kriege ich ganz präzise Ohnmacht und Wut mit, die die Jugendlichen bewegt. Die haben Eltern, die sitzen
zu Hause rum und haben keine Arbeit. Die Jugendlichen selber haben keine Ausbildung und keine Perspektive. Der Westen
hat es sich einfach viel zu leicht gemacht. Der Osten sollte mal schnell aufgekauft werden. Und die Menschen im Osten
haben laut gerufen: Ja, ja, ja!.
Aber der Westen hat seine Verantwortung nicht wahr genommen. Die Frage, was mit den Menschen passiert, hat niemand
gestellt. Die kommen aus einer ganz anderen Kultur, haben ein ganz anderes Weltbild. Die kann man nicht nach 40 Jahren
einfach so alleine lassen. Und diese Fehler äußern sich jetzt einfach. Diese unglaubliche Überheblichkeit des Westens oder
speziell des Herrn Kohl. Der kriegt jetzt beinhart die Reaktion zu spüren. Gerade auch mit der Änderung des Asylrechts hat
man den Rechten Vorschub geleistet. Wenn man in Bonn sagt, jeder Asylant gehört rausgeschmissen, dann braucht man
sich nicht zu wundern. Diese Signale, die nach rechts gesandt werden, die kann man sich nicht leisten.
Besonders erschreckend ist natürlich, daß Jugendliche diese DVU wählen. Es artikuliert sich in diesem Rechtsradikalismus
eine unglaubliche Wut. Das hat brutale und dramatische Auswüchse. Das ist jetzt die Quittung für die Überheblichkeit des
Westens. Aber das werden unsere Politiker spätestens dann begreifen, wenn die Regierung nach Berlin umgezogen ist. Da
weht ein anderer Wind. Da kann man nicht aus der Villa auf den Rhein runtergucken und lässig sein Kölsch trinken.

Gegenüber einer Schweizer Zeitung hast Du gesagt, Deutschland stehe eine Revolution bevor. Ist das Land der Dichter und
Denker am Ende?


Wir sind eine Gemeinschaft in Deutschland. Und unser Schiff sinkt gerade. Wir können jetzt nicht nur schreien, daß unsere
Politiker etwas tun sollen. Wir müssen selber was machen. Oder wir müssen denen da oben so Feuer unterm Hintern ma-
chen, daß sich endlich etwas bewegt. Die müssen merken, daß ihr Verhalten einfach eine Unverschämtheit ist. Die haben
sich einfach vom Volk abgesetzt. Die Schamlosigkeit der deutschen Politiker gipfelt in diesem Lauschangriff, der so absurd
ist wie nur irgendwas. Die tun so, als seien die Deutschen ein krimineller Haufen. Als wenn es bei uns an jeder Ecke nur
knallen und schießen würde. Und die Politiker nehmen sich auch noch selber vom Lauschangriff aus. Dabei sind sie doch
die größten Korrupten in diesem Lande. Das ist unverschämt. Jetzt müssen wir denen klarmachen, daß das Maß voll ist!
Jetzt ist Schluß. Ihr seid nicht die Größten! Andauernd die Politikerdiäten erhöhen, also die Löhne, das geht nicht. Das Haus
brennt! Die Politiker haben jetzt gefälligst zu reagieren, sonst bricht hier bald der ganze Laden zusammen. Vielleicht muß
man demonstrieren. Sicher muß aber in den Deutschen Köpfen eine Revolution passieren. Wenn nötig, gehe ich auch auf
die Strasse. Oder ich gebe Konzerte auf Demonstrationen.

Du hast mal gesagt, eines Deiner schönsten Konzerte hättest Du in SL Gallen gegeben. Kannst Du Dich noch daran erin-
nern?


Ja, das letzte Konzert war wunderbar. Das letzte Konzert in St. Gallen war Klasse. Weil's eben auch unter der Prämisse
stand, man kommt wieder zusammen. Das war ein toller Moment, ein unheimlich schöner Abend. Das Publikum ging richtig
mit. Die Stimmung war großartig. Ich hatte richtig Spaß. Das war ein toller Abend.

Zwischen Dir und den Ostschweizern scheint die Chemie zu stimmen.

Ich mag die Magie. Hinter den Ostschweizern steckt ein Mythos. Hinter den Schweizern steckt generell mehr Tiefe und Ge-
heimnis, als man denkt. Und das ist für einen Preußen wie mich schon eindrücklich. Ich mußte mir viel Zeit lassen, um mich
an die Art der Schweizer heranzutasten.

Das hört sich so an, als ob Du öfter in der Schweiz bist.

Ja, Zum Skifahren. Ich war schon in St. Moritz. In Ftan. Das mochte ich übrigens sehr. In Scoul war ich auch schon. Und
natürlich in St. Gallen.

Dann wird es aber langsam Zeit, daß Du wieder in die Ostschweiz kommst...

Ich glaube nicht, daß wir diesmal beim Open Air in St. Gallen dabei sein werden. Zur Zeit prüfen wir ein paar andere Angebo-
te aus der Schweiz. Jetzt spielen wir erstmal die Konzerte am 24. Mai in Zürich und am 25. Mai in Basel. Aber wir werden
sicherlich mal wieder in die Ostschweiz kommen.