HERBERT GRÖNEMEYER
Interview POP 2000 - Das gibt's nur einmal
Wie ist es zu der Idee gekommen, eine Compilation wie "Das gibt's nur einmal" zusammenzustellen?

Wenn man zurückblickt auf 50 Jahre deutsche Musik, wie wir es für die 8 CD-Box getan haben, dann ist die Frage: Ist da
eine Geschichte, haben wir eigene Wurzeln, gibt es Material, das sich lohnt, einfach noch einmal neu zu betrachten oder
neu aufzuarbeiten? Gibt es auch ein deutsches Musikverständnis? Daraufhin ist die Idee dann zwangsläufig geboren, zu
sagen: Warum geht man nicht auch hin, wie jetzt auf der Compilation, und fordert Bands oder Künstler auf, sich deutsche
Songs auszusuchen und die einfach noch mal neu aufzuarbeiten und aufzunehmen, um zu zeigen: wir haben eigenes
Material, es gibt genug Stücke, die einfach wirklich gut sind.
Wenn man etwa an Bands wie ABWÄRTS denkt, die für mich bei der Arbeit an der ganzen Box und der Compilation zum
ersten Mal auftauchen. Eine Band, bei der mir nicht so bewußt war, wie gut oder wie wichtig die sind. Und wenn man dann
hört, was Künstler aus solchen Stücken ganz neu wieder herausholen, dann zeigt es einfach, daß wir wirklich begreifen
müssen, daß wir auch etwas zu erzählen haben. Nicht nur jetzt, sondern auch schon über die letzten Jahrzehnte hinweg,
und daß wir wirklich gucken müssen, daß wir aus unserem eigenen Material schöpfen. Es ging einfach darum, so ein
Selbstverständnis zu erklären. Wenn man hört, was daraus geworden ist, kann man wirklich sagen, das macht Spaß, sich
das anzuhören.

Wie kam es zu dem Titel "Das gibt's nur einmal"?

Wir haben überlegt: Man muß die Compilation absetzen gegen die 8 CD-Box von Pop 2000. Dann waren wir so dreist und
eitel zu sagen, diese Zusammenstellung von Bands wie CAN bis FÜNF STERNE DELUXE: Das gibt's nur einmal, das muß
man erstmal noch mal wieder so hinkriegen. Also einfach als Oberbegriff, damit es nicht verwirrt, daß es zwei Platten mit
dem Titel Pop 2000 gibt. Und wir haben gesagt: Wir müssen auch ein bißchen auf den Putz hauen.

Wie seid Ihr an die mitwirkenden Künstler herangegangen? Wie ist die Auswahl getroffen worden?

Wir haben halt überlegt. Wer könnte dazu gehören, welche Bands muß man dabei haben, wer war wirklich wichtig, natürlich
sehr subjektiv gesehen. Dann gibt es Bands, die existieren nicht mehr; wir haben zum Beispiel auch SPLIFF gefragt, oder
auch IDEAL, aber bei beiden war es unglaublich kompliziert, die wieder zusammenzukriegen. Wir sind die Jahrzehnte durch-
gegangen und haben gesagt: wen gibt es noch, wer ist überhaupt noch existent, wer war für seine Zeit wichtig. Dann haben
wir ziemlich breit angefragt.
Wir haben jedem freigestellt, sich auszusuchen, was sie machen wollen. Da sind dann eben auch zwei Stücke von AB-
WÄRTS und zwei Stücke von RIO REISER. Und drei Stücke von mir, da dachte ich im ersten Moment auch, also, das sieht
vielleicht ein bißchen komisch aus, aber ich konnte PETER MAFFAY nicht davon abbringen, "Alkohol" zu machen, weil er
sagte: "Entweder mach' ich das oder gar kein Stück" - und ich habe ihm dann auch erklärt, daß es nach außen vielleicht ein
bißchen komisch aussieht, wenn ich für die Platte stehe und da so viele Titel von mir drauf sind. Es hat sich aber so erge-
ben. Wir haben jedem freigestellt, das so zu machen, wie er es will, und das ist letztendlich das Produkt davon.

Welches Ergebnis, welche Songauswahl hat Dich wirklich überrascht?

Sicherlich "Computerstaat" von WESTBAM. Dann natürlich, als ich hörte, FÜNF STERNE DELUXE machen "Yes Sir, I Can
Boogie", dachte ich, oh Gott, was wird das denn, weil man das ja eben nur von BACCARA als Discohit kennt. Ich kannte
das Stück "Schiffe" von ABWÄRTS nicht, das die TOTEN HOSEN gemacht haben, und das ich auch ganz klasse finde.
Dann "Doris" von den PRINZEN, von PANKOW, auch sehr beeindruckend. Ich kannte PANKOW vom Namen und eben auch
durch unsere Arbeit an der CD Box, aber in der Version, wie die das gemacht haben, blüht das noch mal richtig auf, kriegt
das eine irre eigene Qualität. Dann ABSOLUTE BEGINNER mit dem Nena- Song, das fand ich auch sehr verblüffend, weil
ich dachte: was machen die denn damit?
Und dann natürlich von SMUDO dieses "Rudi" von Herwig Mitteregger, zum Teil habe ich auch seine Soloplatten, aber das
Lied war mir nie so richtig aufgefallen. Als ich ihn anrief, wußte SMUDO direkt, was er machen will, er war ganz vehement.
Das sind jetzt die, die mir spontan einfallen - wobei die Version von CAN von "Der Dritte Mann" natürlich auch verblüffend
war, daß die mit so etwas kommen. Überhaupt, die Schnelligkeit, mit der die Bands wußten, was sie machen wollten. Das
spürt man, hinter diesen Versionen steckt sehr viel Leidenschaft, und man merkt, das sind alles Stücke, worüber die viel-
leicht schon oft nachgedacht haben "Mensch, das sollte man mal aufnehmen". Auch von den GUANO APES, das "Big In
Japan". Vielleicht finden sie es auch klasse, das Stück jetzt mal aufzunehmen, ohne auf einer eigenen Platte direkt komisch
angeguckt zu werden.

Die beteiligten Hip- Hop- Künstler scheinen sich am weitesten vom Original gelöst zu haben. Siehst bzw. hörst Du das
genauso?


Bei denen ist natürlich auch das Problem, was die Texte angeht, daß die immer Material brauchen. Also, wenn du anfängst,
wie zum Beispiel bei "Yes Sir, I Can Boogie", Material zu brauchen, um da zu rappen, dann brauchst du natürlich schon
mehr, als das Original hergibt. Aber sicherlich sind sie am verspieltesten und brechen das auf. Wir sind da die etwas ältere
Generation, sind nicht ganz gewohnt, Stücke so aufzuknacken. Die haben sich mit ihrem Ansatz sicherlich am weitesten
weg bewegt, das stimmt.

Gefällt Dir auch der Ansatz von GUANO APES mit ihrer Version von "Big In Japan"?

Ich finde GUANO APES klasse, die Sängerin ist einfach gigantisch. Sie hat eine unheimliche Frechheit, geht unheimlich
nach vorne, auch wenn man sie live sieht. Es ist wirklich beeindruckend, mit welcher Radikalität die auf der Bühne steht.
Wenn man sie sieht, denkt man erst, sie ist eine sehr schmale Person, aber wenn man dann sieht, was sie und die Band für
eine Power entwickeln, das haut einen schon um. Die hängen sich komplett rein, quasi ohne Rücksicht auf Verluste, und
das zeugt glaube ich auch für neues Selbstverständnis von deutschen Bands, daß die nicht so verkrampft sind. Das Lust-
volle, das sie haben, und das man auch gerade in den 90ern bei den Hip- Hoppern verspürt, das ist sicherlich neu. Das gab's
in den 80ern nicht, oder vielleicht mal in der Neuen Deutschen Welle. Dieses sich in einen Song reinschmeißen und radikal
nach vorne gehen, das ist wirklich sehr ungewöhnlich.

Das Projekt lädt ja zum Experimentieren ein. Einige Künstler haben doch bestimmt mehrere Songs aufgenommen, oder?

Ich glaube, die ABSOLUTE BEGINNER haben auch drei Songs gemacht. Das fand ich klasse, daß sie sich so viel Mühe
gegeben haben, ausprobiert haben, Sachen auch wieder verworfen haben, und wirklich wollten, daß der Songs auf die Platte
kommt, den sie auch selbst am besten fanden. Das zeigt auch, mit welchem Einsatz die da rangegangen sind. Auch die
Nummer von BLIXA BARGELD, eine CAN- Nummer, ist ja völlig abgefahren, auch als Farbe. Die Platte ist unheimlich facet-
tenreich. Sie zeigt vom straighten Rock von BAP bis zu BLIXA BARGELD wirklich alle Varianten und Facetten deutscher
Musik und auch alle Interpretationsmöglichkeiten. Es ist uns zum Teil nicht bewußt, wie viele verschiedene Genres es in
Deutschland gibt und wie viele Bands die auch wirklich gut besetzen. Das ist mir auch bei der Box aufgefallen, die wir ge-
macht haben. Wir müssen uns darüber klar sein, und können letztendlich auch ein bißchen stolz darauf sein, daß wir eine
große Bandbreite haben an verschiedenen Stilarten und auch an wirklich guten Bands, die das erfüllen.


Jan Eissfeldt von ABSOLUTE BEGINNER hat sich Nena vorgenommen. "Irgendwie, irgendwo, irgendwann" soll auch als
Single erscheinen. Siehst Du in dem Album noch mehr Hit- Potential?


Es ist auf jeden Fall voller Granaten. "Irgendwie, irgendwo, irgendwann" von den ABSOLUTE BEGINNERN wird die erste
Single werden. Es ist ein bißchen das Problem, daß manche Bands selbst an Projekten arbeiten, oder eigene Platten
herausbringen, und wenn man Songs von denen zur Single macht, würde das ein bißchen verwirren. Ich denke, es sind
schon wunderbare Songs darauf, die man als Single auskoppeln kann, und das werden wir dann auch machen. Wir haben
genug Material, um das nächste Jahr zu bestücken.

Kannst Du Dir vorstellen, dieses Projekt in irgendeiner Form fortzusetzen? Die Möglichkeiten scheinen doch endlos.
Wie wär's mit einer zweiten Folge?


Da habe ich noch gar nicht drüber nachgedacht - Du bringst mich da auf eine Idee. Man müßte mal gucken, grundsätzlich
wär's vielleicht sogar einen Versuch wert, wenn man merkt, daß das es eine Akzeptanz hat.

Sind Ost und West nach zehn Jahren Wiedervereinigung in der Jugendkultur näher zusammengerückt?

Ich denke, wir sind am Punkt Null angekommen. Wir sind jetzt soweit, daß wir feststellen: Da sind große Unterschiede, über
die sind wir uns im Klaren. Wir sind jetzt an einem Punkt angekommen, wo wir begreifen, daß wir von beiden Seiten versu-
chen müssen, uns davon loszuentwickeln, und ich denke, daß wir gemeinsam versuchen, die Zukunft Deutschlands auch
musikalisch aufzubereiten, jeder mit seiner Sicht und jeder mit seinem Ansatz, seinem wo er herkommt. Man sieht ja auf der
Platte auch, wenn man die Version von DAS AUGE GOTTES hört, man hört eindeutig, daß die musikalisch um keinen Deut
in irgendeiner Form schwächer sind. Musikalisch ist da oder bei den PRINZEN überhaupt kein Unterschied. Was die Qualität
der Bands aus dem Osten oder aus dem Westen angeht, da ist eine unheimliche Gleichheit da. Natürlich sind die Ansätze
und die Sehensweise ganz extrem unterschiedlich, weil wir in verschiedenen Systemen groß geworden sind und das läßt
sich auch nicht so mal kurz innerhalb von acht, neun Jahren einebnen. Wir haben jetzt begriffen: wir sind unterschiedlich,
und wir sollten jetzt ganz langsam versuchen, daraus, aus diesem Spannungsfeld, das Beste zu machen. Das ist unsere
Geschichte - das ist unser Jetzt- Zustand. Da gibt es genug zu erzählen in der Musik. Da kann man genug Themen finden,
auch genug Unterschiede, um zum Teil auch übereinander herzufallen.
Wenn man's musikalisch sieht, etwa auf der Box, Bands wie TO ROCOCO ROT, da gibt's genug Bands, die sehr eigen-
ständig, mit sehr starkem Eigenverständnis Musik machen. Die Frage ist, können wir Musik machen, haben wir etwas zu
erzählen. Das wird sich dann irgendwann nicht weiter unterscheiden zwischen Leuten aus Nord-deutschland und Süd-
deutschland oder aus Ostdeutschland und Westdeutschland.

Bist Du der Meinung, daß durch das gesamte Projekt "Pop 2000" inklusive der Fernsehserie ein neues Bewußtsein für die
Geschichte der Popmusik entstehen kann, sowohl beim Publikum, als auch unter den Musikern?


Das denke ich absolut. Das ist meine Hoffnung, und das ist auch das, was mich daran interessiert hat. Dadurch, daß man
das mal so zusammengefaßt hat, und das auch so existiert, glaube ich, besteht die große Chance, daß das auch wirklich
daraus wächst. Das war die Idee, und insofern ist das ja auch zukunftsgerichtet. Ich glaube, daß daraus speziell auch bei
den Musikern ein Bewußtsein entsteht, und diese Selbstverständlichkeit, von der ich geredet habe, die auch junge Bands
heutzutage haben, hat genau damit zu tun. Die kümmern sich nicht mehr soviel um irgendwelche wie muß ich was schrei-
ben, was muß ich schreiben, wie ist ein Text hieb- und stichfest, politisch oder was auch immer, die gehen viel spielerischer
und selbstverständlicher mit Musik um. Und repräsentieren sich so auf der Bühne, mit einer ziemlichen Radikalität.
Ich denke, wenn man sich das alles, und auch die 8 CD-Box, mal anhört, das geht mir selbst auch so, und ich bin ja nun
auch Musiker, dann bin ich selbst ganz baff. Ich hätte auch nicht gedacht, daß es so facettenreich ist und so vielschichtig.
Das freut mich. Ich glaube, wenn sich das beim Publikum auch einstellt, daß sie über die Fernsehserie und über diese
Platten auch sagen: Au Mensch, es gibt ja doch mehr, es gibt deutsche Literatur, und den deutschen Film, und es gibt auch
eine deut-sche Musikszene, mit allem Krampf, aller 60er Idylle und allem Schlager, aber letztendlich gibt es sie, und sie läßt
sich auch nicht mehr wegreden. Ich glaube, daraus kann das entstehen, und es wird auch entstehen. Das merkt man auch,
wenn man hier in England lebt. Die Elektronik etwa der 70er, aber auch was die 90er angeht. Die Engländer zum Beispiel
nehmen ganz genau wahr, was aus Deutschland kommt, und fahren zum Teil auch nach Deutschland und holen sich die
Platten. Das ist uns gar nicht klar. Im Eastend gibt es einen Club, der macht einmal in der Woche Krautrock.

Was sind für Dich die größten Entdeckungen auf dem Box- Set, der Anthologie?

Einmal, da bin ich auch sehr stolz, daß das geklappt hat, denn das gibt es zum ersten Mal überhaupt auf CD, das sind die
Titel von NEU: "Hero" und "Hallogallo". "Hero" ist zum Beispiel ein Lieblingslied von Iggy Pop und ich habe von ihnen einen
Presseausschnitt bekommen mit einem Interview von David Bowie, wo er sagt, daß NEU die Band der 70er Jahre schlecht-
hin sei. Dann die Abwärtsstücke, einmal auf der Coverversionsplatte und auch auf der Box. Dann so aktuelle Sachen wie TO
ROCOCO ROT. Auch so eine Band wie PANKOW mit dem Titel "Langeweile" finde ich über-raschend, mit welcher Leichtig-
keit und Gelassenheit im Osten auch Musik gemacht wurde. Am beeindruckendsten ist sicherlich auch die Elektronik-
Szene. Wenn man sich die Elektronik anhört, auch gerade aktuelle Sachen, wie spröde und abgespaced die zum Teil sind.
Und wenn man dann da die 70er Jahre gegenüberstellt, merkt man schon, das ist eine sehr eigene und sehr deutsche
Sprache. Oder ATARI TEENAGE RIOT oder diese Hamburger Schule, die dann auch wieder eine sehr spröde Art haben zu
texten. Und auch, was man zum Teil aus dem sogenannten Untergrund hervorbuddelt. Ich habe jetzt das Gefühl, ich weiß
jetzt einfach ein bißchen mehr.

Während die Fernsehserie die Geschichte der deutschen Popmusik chronologisch reflektiert, ist der theoretische Ansatz der Anthologie ja eher phänomenologisch, oder?

Erstens das, und zweitens war ja meine oder unsere gemeinsame Idee dann letztendlich auch zu sagen: Das wird langwei-
lig- wenn wir anfangen, das chronologisch aufzuarbeiten, wird's erst mal ein Rückblick und geht nicht nach vorne. Ich finde
gerade interessant, wenn man so eine Elektronik- CD hört, oder eine Rock- CD, oder selbst so eine Kitsch- und Kult- CD,
die wir da gemacht haben, daß sich das auflöst, daß man das gar nicht mehr einsortieren kann und dann auch aufhört
darüber nachzudenken, war der Titel jetzt aus den 60ern, aus den 70ern oder ist der aus den 90ern. Da gehen Titel ineinan-
der über, es wird wichtig, daß man einfach feststellt, da ist eine unheimliche Bandbreite. Man muß die auflegen und beim
Durchhören sagen: Die lege ich mir gerne noch einmal auf.
Es nutzt ja nichts, eine Rock'n'Roll- oder Twist- CD zu haben, oder eine 60er oder 70er CD, wo du sagst, ok, das hab' ich
jetzt gehört, weiß ich, ist in Ordnung. Mir war schon wichtig, daß sich die Zeiten verwischen und daß hinterher ein Gesamt-
geschmack übrigbleibt, eine Gesamtatmosphäre, wo man sagt, aha, das ist, das schmeckt oder das klingt deutsch. Was
immer das ist. Man kann es nicht definieren, und das soll man auch gar nicht. Aber wenn man so eine CD durchhört, muß
man sagen, oh, das hat was. Das ist im Grunde genommen wie so eine wilde Collage aus fünf Jahrzehn-ten, und die muß
wirken. Wenn man die anguckt, soll man nicht sagen: Der Schnipsel ist aus den 60ern, der ist aus den 90ern, sondern: Das
ist ein irres Bild. Ein kompaktes Bild, das ich mir gerne angucke.