HERBERT GRÖNEMEYER
Interview (KRONE 11.07.1999)
ICH LEBE NUR VON TAG ZU TAG

Wie ist es, wieder auf der Bühne zu stehen?

Gemischt Es hat sich alles geändert. Die ganze Sehensweise, die man selber hat. Wie man sich fühlt auf der Bühne, wie
man denkt während der Lieder. Es ist nicht mehr so unbefangen wie früher. Das Leben muß aber weitergehen. meine Frau
wollte sicher nicht, daß ich mich vergrabe und in der Ecke sitze und weine. Für mich ist das der Versuch, meine Welt unter
völlig neuen Gesichtspunkten neu zu erobern. Ich habe sehr viel Post von Fans bekommen, die meinen: "Du hast uns über
die Jahre viel geholfen, jetzt sind wir mal dran." Die Bühne ist ein Platz, an dem ich mich geborgen fühle.

Gab es einen Punkt, an dem Sie keine Musik mehr machen wollten?

Ich kann nicht theoretisch entscheiden, daß ich mit allem aufhöre. Ich muß das sehen und ausprobieren. Nach den Kon-
zerten im Herbst werde ich mehr wissen. Wie ist mein Verhältnis zur Musik, wie geht das weiter, was gibt mir das? Ich kann
das nur ausprobieren. Es ist brutal, es bleibt brutal. Die Ereignisse werden mein ganzes Leben lang eine Farbe sein, dich ich
nicht kannte, die mich jetzt begleitet. Ich muß sehen, wie ich das in mein Leben integriere. Dazu gehört es, auszuprobieren,
wieder Musik zu machen. Wenn ich keine Kinder hätte, wäre alles ganz anders gewesen. Am Ende dieses Jahres oder An-
fang des nächsten werde ich mehr wissen, ob ich noch Musik machen kann oder nicht. Ich werde in einer Ruhephase Bilanz
ziehen. Wenn ich nichts mache, neige ich dazu, in mir zusammenzufallen. Davor habe ich natürlich Angst.

Haben die Lieder jetzt eine andere Bedeutung für Sie bekommen?

Speziell die letzte Platte "Bleibt alles anders". Das Lied selbst hatte ich für Anna geschrieben. Ich dachte, daß sie da durch-
kommt, daß sie das schafft. Sie war sehr stark, sehr mutig. Die Platte war gedacht als Mutmacher. Und es war die Lieb-
lingsplatte meiner Frau. Sie hat gemeint, das war die erste wirklich gute Platte, die ich gemacht habe. Durch diesen
Einbruch bekommen die Lieder eine andere Bedeutung.

Haben Sie die heile Welt des Showgeschäfts hinterfragt?

Ich bin ja keine Glamourfigur. Natürlich hat der Erfolg eine eigene Dynamik und ist eine Form von Droge. Ich habe Musik
immer als große Glückssache gesehen, auch als ich noch keinen Erfolg hatte. Sie ist ein großes Privileg. Wenn man Men-
schen erreicht und ihnen Energie geben kann, bauchpinselt das einen schon. Man muß nur immer relativieren, daß das nicht
das richtige Leben ist... Es ist ja das richtige Leben... es ist mein Leben, es ist ein Geschenk, das ich bekommen habe,
meine Aufgabe. für zwei Menschen ist es hart, mit der Dynamik eines solchen Erfolgs umzugehen. Da muß man sich ganz
schön in die Seile hängen. Da geht es tierisch nach vorne, da geht ein irrer Wind, und man versucht, das Segelboot zu hal-
ten. Wir wollten Privatleben und Beziehung und den Erfolg unter einen Hut bringen. Ich denke schon ab und zu, ob das nicht
der Grund ist, weshalb das so katastrophal geendet hat. Aber das weiß ich heute nicht. Das Sterben gehört zum Leben
dazu. Manchmal denkt man, daß man in der privilegierten Situation ist, daran vorbeizukommen. Man denkt, daß man ein
dickeres Plastikschutzschild hat. Man glaubt, man hätte mehr begriffen vom Leben. Man hat aber nicht mehr begriffen als
jeder andere Mensch auch.

Können sie schreiben?

Nee, gar nichts. Ich mache auch keine Musik abseits der Bühne. Zu Hause kann ich gar nichts, alles ist brach. Ich kann
auch mit Emotionen schlecht umgehen. Ich lebe in einem ziemlich neutralen, emotionalen Stadium. Eher immer wieder kurz
vor dem Absturz.

Wie weit gehen Ihre Zukunftspläne?

Ich habe keine Pläne, ich kann nur von Tag zu Tag leben. Ich brauche viel, viel Zeit, um wieder zu begreifen, was ich machen
möchte. Dafür ist jetzt alles noch zu frisch und waidwund. Das ist wie eine Atombombenexplosion. Ich kann noch keinen
klaren Gedanken fassen, robbe von Tag zu Tag einen Millimeter vor, falle wieder zurück. Es war alles zu massiv, als daß
man da jetzt schon Land sieht.