HERBERT GRÖNEMEYER
Interview von VOLKMAR KRAMARZ, 1985
Wenn man Herbert Grönemeyer Songs spielen will, ist es dann besser, Klavier spielen zu können, oder hast du die Lieder
ganz unabhängig von einem speziellen Instrument geschrieben?


Die Songs von Bochum habe ich mit Hilfe des Klaviers und Keyboards komponiert.

Das ist kein Zufall, du bist ja auch ein richtig studierter Pianist.

Nun ja, ich habe eine klassische Ausbildung und 10 Jahre Klavierunterricht gehabt und dabei mehr oder weniger Spaß ge-
habt. Eigentlich wollte ich schon mit 14 Jahren aufhören, aber dann habe ich doch weitergemacht, zum Glück. Ich bin aber
kein Pianist der gehobenen Güteklasse, könnte also keine klassischen Konzerte geben.

Erzähl doch mal von der Arbeit mit deiner Band.

Also, ich schreibe die Stücke und die Texte, einzige Ausnahme ist auf der LP "Bochum" der Titel "Alkohol". In der Regel ha-
be ich gewisse Vorstellungen, aber ich verstehe Musik als etwas Gemeinsames, also nicht, daß sich einer hinstellt und be-
stimmt, was gespielt wird. Wir arbeiten in der Band miteinander, und jeder bringt sein Instrument ein. Aber bei der endgül-
tigen Ausarbeitung muß schon das "Okay" von mir da sein. Was ich übrigens mit meinen Komponisten oft durchführe, ist
ein "Wandern" durch verschiedene Tonarten, die untereinander nicht in engem Zusammenhang stehen. Dieses Aneinander-
reihen von Tonarten halte ich für interessanter, als nur in einer Tonart zu verbleiben.

Hängt das nicht auch mit deiner Stimmlage zusammen?

Also, stimmlich traue ich mir schon relativ viel zu - ich versuche es zumindest. Die Platte "Bochum" z.B. ist von der Stimm-
lage sehr hoch, gerade wenn ich das vergleiche mit der LP "Gemischte Gefühle".

Es ist also auch deiner Meinung nach wichtig, die jeweilige Tonart beizubehalten, und nicht beliebig hoch- oder runter zu
transponieren, sonst würde sich das Stück vom Gefühl her ändern?


Ich halte es für besser, denn die Tonhöhe ist für mich sehr wichtig. Ich versuche eine gewisse "Nervigkeit" in den Stücken
zum Ausdruck zu bringen und bis an die Grenzen meiner Stimmlage zu gehen, das ist bewußt so angelegt und soll auch so
bleiben. Natürlich sind dadurch die Sachen zum Teil so hoch, daß sie nicht jeder singen kann, sie gehen teilweise bis zum
hohen C. Aber vielleicht sollte jeder, der meine Songs singen möchte, zumindest den Versuch unternehmen - soweit es
eben geht - diese Tonhöhe zu erreichen. Das macht den Reiz des jeweiligen Stückes aus. Das bezieht sich natürlich auch
auf alle Instrumente. Willkürliches Transponieren sollte daher, wenn irgend möglich, vermieden werden.

Darf ich Deine Stücke eigentlich wie die eines Liedermachers behandeln, d. h. einfach ans Klavier oder an die Gitarre setzen
und singen, oder ist es zur Interpretation Deiner Stücke immer notwendig, über eine Band im Hintergrund zu verfügen?


Überhaupt nicht. Wer will, kann sich alle Lieder für sich und seine Gitarre erarbeiten. Ich habe übrigens in meinen Song-
books extra die Gitarrengriffe dazu geschrieben. Es ist für mich nicht notwendig, immer eine Band im Hintergrund zu haben.
Lieder sind nur dann gut, wenn sie auch mit kleiner Besetzung gut klingen. Meiner Meinung nachdürfen sie nicht abhängig
vom Arrangement sein.

Wenn wir Lied sagen, dann scheint mir, daß der Text fast wichtiger ist als die spezielle Melodie des jeweiligen Stückes?

Nein, das heißt das nicht, im Gegenteil, ich lege sehr viel Wert auf die Musik und die Melodie. Sagen wir mal so: dergestalt,
daß ich 52% Wert auf die Musik lege und 48% auf den Text, was übrigens viele Leute sehr verwundert. Wahrscheinlich, weil
wir Deutschen eine sehr spezifische Art haben, an deutschsprachige Musik heranzugehen, wir sind eben sehr textbetont.
Bei mir ist es jedoch so, daß ich erst die Musik schreibe und später den Text dazu. Also ist für mich die Musik doch etwas
wichtiger. Wie der jeweilige Hörer mit dem Lied umgeht, bleibt ihm dabei selbst überlassen. Das kann dazu führen, daß viele
Leute gerade bei mir sagen, die Texte würden sehr interessieren, was ich eben etwas anders sehe. Damit will ich natürlich
nicht sagen, daß ich meine Texte für unwichtig halte. Ich meine einfach, die Melodien sind sehr wichtig, und auch die Har-
monien. Bei denen geht es von verminderten bis zu geraden Moll- und Dur Akkorden mit hinzugeführter Sext und anderen
akkordfremden Tönen. Diese Sachen sollte man auch nicht verändern, da sonst das Lied einen anderen Charakter bekommt.

Damit bist Du einer der wenigen Leute, die darauf wirklich Wert legen. Viele Kollegen lassen die Arrangements von anderen
schreiben und kümmern sich dann nicht mehr darum
.

Das darf überhaupt nicht sein. Wenn ich die Musik schreibe, habe ich das entsprechende Gefühl dazu, und ich weiß genau,
wie die Melodie laufen soll. Dann erst setze ich den Text darauf, der thematisch zu diesem Gefühl passen muß. Und zu bei-
den muß dann wiederum das Arrangement passen, und das darf daher nicht ohne weiteres verändert werden. Insofern achte
ich darauf, auch auf das Arrangement mit der Band Einfluß ausüben zu können.

Die Arrangements wirken auf mich immer sehr sparsam, sehr durchsichtig, stimmt das?

Ja, das soll auch so sein, sie sollen nicht vollgepackt erscheinen, sie sollen vielmehr transparent bleiben.

Also keine grandiose und bombastische Klangmalerei?

Das halte ich nicht für notwendig: So etwas hat bei vielen erstens mit Arrangementwahn zu tun und zweitens damit, daß vie-
le glauben, dauernd zeigen zu müssen, was sie können. Also ich finde das affig.

Live wirds dann ganz schön fetzige Rockmusik.

Je nachdem, aber es ist sicher so, daß live der "Spieltrieb" besonders durchkommt. Klar es ist Rock-Musik, aber es ist auch
eine Frage von Können. Auf jeden Fall möchte ich schon, daß es live nicht bombastisch erscheint.

Was bedeutet live auftreten für Herbert Grönemeyer?

Also, zunächst finde ich, daß für mich Musik mehr mit Live-Spielen zu tun hat als mit Plattenaufnahmen. Musik hat etwas
mit Zwischenmenschlichkeit zu tun, und die Platte stellt ein anderes Medium dar, das die Musik einem breiteren Publikum
zugänglich macht. Aber für mich bedeutet Musik machen zunächst einmal auf die Bühne gehen und live spielen. Das erst
ermöglicht echte Kommunikation mit den Zuschauern.

Wenn du dann 10 Abende hintereinander auf der Bühne verbracht hast, wie findest du dann diese Meinung?

Nun, wir haben 1984 50 Konzerte in einer Tournee absolviert, und ich hatte zunächst einmal Angst, welcher Kraftaufwand da-
zu nötig sein würde. Man muß sich dafür jeden Abend neu konzentrieren, um erfolgreich zu sein, und um zum Schluß mit
dem Publikum zusammen ein gutes Gefühl zu haben. Das erfordert natürlich sehr viel Konzentration, macht aber auch sehr
viel Spaß. Insofern war es dann doch keine Anstrengung, weil sehr viel Freude dazu kam und es richtig Laune machte. Für
mich bleibt Live-Musik auch weiterhin enorm wichtig.

Wie lief es denn während dieser Tour? Warst du beim 47. oder 48. Konzert total geschlaucht, oder bautest du zum "Endspurt" wieder auf?

Also ich habe sehr abstrakt darüber nachgedacht, denn ich bin von der Band derjenige, der, was eine so lange Tour betrifft,
die geringste Erfahrung hatte. Infolgedessen waren meine Kollegen auch sehr skeptisch, aber ich kann sagen, wir hatten
praktisch keine sogenannten "Durchhängphasen" Was uns natürlich beflügelte, war die positive Reaktion der Leute. Aller-
dings muß ich zugeben, daß es ab und zu mal Momente gab, wo wir begannen, überheblich zu werden, da gilt es sich dann
zu kontrollieren. Aber, wie gesagt, "durchhängen" gab es nicht. Es mag hier und da schon mal ein Konzert gelaufen sein, wo
wir glaubten, wir könnten das Repertoire mit Routine runterspulen, doch das ist schlecht: da heißt es aufpassen und sehen,
daß man ganz schnell wieder auf den Punkt kommt.

War es eigentlich sehr überraschend, sich ganz oben in den Hitlisten zu finden?

Das hat mich sicherlich verblüfft, denn ich habe meine Musik an sich nicht geändert. Natürlich ist ein Lernprozeß dazuge-
kommen, doch eigentlich habe ich meine Vorstellungen ziemlich stur durchgehalten, auch wenn früher viele Leute gesagt
haben, das wird sowieso nichts, das kannst du dir in die Haare schmieren.

Deine Filme waren natürlich schon bekannt, und immerhin hattest du bereits mit der Gruppe "Ocean" eine erste LP veröf-
fentlicht. Dann tauchte der Name Herbert Grönemeyer in Verbindung mit deutsch gesungenen Rock auf
.

Das ist richtig, ich habe ja vor Jahren auch englisch gesungen, Rock-Musik gemacht. Vor ungefähr 4 Jahren habe ich ange-
fangen, deutsch zu singen. Dabei hatte ich unheimlich Skrupel, und da dauerte es auch sehr lange, bis ich da überhaupt ein
Selbstbewußtsein entwickelte. Es hat immerhin 2 Platten lang gedauert.

Als du angefangen hast, deutsch zu singen, gab es da für dich spezielle Vorbilder, oder was hat diesen Schritt bei dir
bewirkt?


Es gab da eigentlich nur den Hermann van Vean.

Und Leute wie Udo Lindenberg?

Haben mich nicht motiviert, deutsch zu singen. Habe ich auch wenig gehört.

Hermann van Veen ist ja nun Niederländer?

Trotzdem waren das die einzigen deutschen Texte, mir denen ich was anfangen konnte. Natürlich finde ich auch Lindenberg
und Nina Hagen toll, aber das war für mich keine Auslöser, deutsch zu singen

Was waren auf musikalischem Gebiet deine Vorbilder?

Schwer zu sagen. Mir wird nachgesagt, Randy Newman sei es gewesen. Auf jeden Fall, "Good Old Boys" von R. Newman
ist meine Lieblingsplatte. Ich kenne Newman seit 1972, als in Deutschland nur wenige von ihm gehört hatten. Wenn ich an-
sonsten meine Entwicklung rückblickend betrachte, dann würde ich sagen, wichtig waren auch Stücke von Taste, Cream
und Jimi Hendrix, die wir in meiner ersten Band nachgespielt haben.

Also nicht nur Sänger beeinflußten dich?

Doch, auf die habe ich am meisten geachtet, denn ich habe hauptsächlich gesungen, Auch in meiner ersten Band, in der ich
Klavier gespielt habe. Da war ich ungefähr 14. Wir haben u. a. Stücke von Joe Cocker gespielt, den ich nun schon lange höre
und immer noch sehr gern mag. Dann kam die "Peace-Folk-Phase" mit Arlo Guthrie, Donovan, Leonard Cohen, Pentangle
und auch Don Mac Lean.

Das klingt nach intensiv erlebten 70er Jahren.

Genau, Stones und Beatles habe ich übrigens kaum beachtet. Randy Newman war der erste, der mich wirklich interessierte,
weil der so schöne Arrangements machte mit brüchigen Geigenstücken, aber dennoch rockig. Seine Musik hatte etwas Indif-
ferentes an sich und war für mich voller Spannung. Seit der Zeit habe ich ein Faible für ihn behalten und lege seine Platten
immer wieder auf, obwohl er ja nie so richtig populär wurde.

Als du mit "Ocean" spieltest, war überall die "Neue Deutsche Welle" in Gespräch. Hat dich das irgendwie beeinflußt?

Beeinflußt nicht, aber was ich gut fand an dieser Idee, war die Entkrampfung gegenüber der deutschen Sprache. Obwohl ich
früher nie auf den Gedanken gekommen wäre, meine Texte selber zu machen. Daher finden sich auf meinen ersten beiden
Platten auch viele Texte von anderen. Ich muß dazu sagen, daß ich wohl kaum im klassischem Sinne literarisch begabt bin.
Ich habe z.B. nicht viele Gedichte gelesen und hätte mir auch kaum zugetraut, selber welche zu verfassen. Ich habe daher
zunächst mit anderen Textautoren gearbeitet, weil mich persönlich nur für die Musik interessierte. So waren bei "Ocean"
Texte lediglich Transportmittel für die Musik, obwohl die Texte nicht gewollt dümmlich waren, aber eben nicht besonders
wichtig. Vielleicht sollte ich dazu ein paar Jahre zurückgehen: Mit 17 hatte ich meinen ersten Plattenvertrag. In München
fand ich einen Produzenten, der mich an eine Plattenfirma vermittelte, wo ich mich traf, um herauszufinden, wie man eigent-
lich im Platten-Studio arbeitet. Davon hatte ich nämlich wenig Ahnung, und ich habe dann dort Texte gesungen, die zwar
nicht schlecht waren, aber toll fand ich sie auch nicht, und irgendwann fiel mir auf, daß diese Texte wenig mit mir zu tun
hatten.

Von Udo Lindenberg gibt es eine Platte, die er heute nicht mehr hören will, weil er damals englisch gesungen hat. Gibt es so
etwas auch bei dir?


Nein, ich stehe zu meinen Platten. Ich will nur nicht, daß sie nachträglich mit dem Erfolg von heute in Verbindung gebracht
werden. Dann muß der Käufer 15 DM hinlegen, und das sind sie einfach nicht wert.

Was mißfällt dir an diesen frühen Platten?

Na ja, bei den Stücken der ersten beiden Platten merkt man halt, daß die Lieder von einem Fremdarrangeur bearbeitet wur-
den, das finde ich heute nicht mehr gut. Die ersten beiden LPs waren halt wichtige Erfahrungen, aber sie sind verkrampft.
Dennoch resultierte daraus eine Unzufriedenheit, die schließlich den Auslöser bildete, selber zu texten.

War es dabei für dich ein Hinweis, daß die Platten vom Verkauf her nicht so gut liefen?

Nein, die Unzufriedenheit hatte nichts mit dem Geschäft zu tun, sondern nur etwas mit mir selbst.

Wann fiel bei dir die Entscheidung, mit künstlerischer Arbeit Geld zu verdienen?

Musik ist für mich nicht zum Geldverdienen dar, sondern ist eine Art Selbstzweck. Ich brauche Musik zum Leben.

Liegt darin dein Rezept zum Erfolg?

Das glaube ich nicht. Es mag vielleicht entfernt etwas damit zu tun haben. Für mich ist wichtig, daß ich mir die Musik auch
noch später anhören kann, und nicht, daß sie in die Hitparade kommt; doch es hat sich so entwickelt und das ist auch
schön so.

Wie wird es jetzt weitergehen?

Jetzt muß ich erst mal drüber nachdenken, was in der Vergangenheit so passiert ist.

Wirst du in Bochum bleiben?

Ja und nein, denn ich habe noch eine Zweitwohnung in Köln. Schließlich habe ich dort zwei Jahre Theater gespielt. Doch,
wie gesagt, jetzt ist erst mal Pause angesagt.

Aber der Erfolgsdruck bleibt?

Ja, der kommt von außen, von Presse, Plattenfirmen, Medien und was es sonst noch alles gibt. Aber ich versuche, darauf
nichts zu geben, mein inneres Gefühl muß stimmen.

Viele Kritiker sagen, du wärest kommerziell geworden und hättest dich dem breiten Musik-Geschmack angepaßt. Ist das
eine Reaktion auf den Erfolg?


Das stimmt sicher nicht, im Gegenteil, allein bei "Bochum" haben mich alle Leute für verrückt gehalten. Sie sagten, schon in
Münster würden die Leute davon nichts mehr hören wollen. Doch es will weiterhin meinen Ideen folgen, und dem Druck von
außen nicht nachgeben. Nur dem Erfolg hinterherzulaufen, finde ich albern. Die nächste Platte mache ich, wie die vorherigen
Platten, mit dem gleichen hohen Anspruch an mich selber, nur das zählt.

Hast du Tips für Leute, die, wie du, Karriere machen wollen?

Nein. Alles andere wäre Blabla.