HERBERT GRÖNEMEYER:
Interview von SVEN GÄCHTER (Profil, 1999)
FEUER MACHEN, BIS DIE MASSE AUFWACHT!

Herr Grönemeyer, Sie haben mit politischen Statements nie hinterm Berg gehalten und insbesondere aus Ihrem tiefen
Überdruß an der Politik von Helmut Kohl nie ein Hehl gemacht. Dann kam die Wende. Sind Sie nach einem Jahr rot- grüner
Regierung in Deutschland auch vom allgemeinen Blues befallen?


Ich glaube, man erwartet einfach zu viel. Das geht alles nicht so schnell. Wir befinden uns nach der Wiedervereinigung
immer noch am Punkt Null. Die Sprachlosigkeit zwischen Ost und West wird immer ausgeprägter. Auch ein echtes Demo-
kratieverständnis ist in Deutschland noch nicht vorhanden. Da gibt es einfach keine simplen Antworten. Dazu kommt, daß
mit Schröder ein Mann ohne Ideen angetreten ist, ein Medienzampano, der händeringend nach Leuten sucht, die ihn mit
Ideen versorgen können, und sich zum Teil mit Figuren umgeben hat, die auch im Management für Boxveranstaltungen sein
könnten.

Oder in den PR-Abteilungen von Poplabels?

Ja, das ist alles Pop. Auch Helmut Kohl war Pop. Der hat die meisten Platten verkauft, den fanden alle Klasse - sogar Ger-
hard Schröder. Ich hab Schröder einmal bei Biolek getroffen; nach der Sendung sagte er zu mir, er finde den Kohl gigantisch.
Ich dachte, ich höre schlecht. Schröder hat Kohl ganz genau studiert, nur dabei leider vergessen, daß der, so fatal ich ihn ja
fand, ein Konzept hatte, auch ein Machtkonzept. Das hat Schröder nicht. Er versucht es durch seine Medienwirksamkeit zu
ersetzen. Aber das reicht natürlich nicht. Mittlerweile fühlen sich die Leute, speziell im Osten, von diesem Medientrallala
einfach verschaukelt.

Interessiert Schröder sich überhaupt für Menschen jenseits der magischen Medienmeile?

Er findet es erst mal ganz toll, daß er Kanzler geworden und endlich in den Charts ist. Aber seine Platte ist leider ziemlich
öd, weil er schlechte Produzenten hat. Der eine Co- Produzent, den er hatte, Lafontaine, hat während der Produktion das
Handtuch geschmissen und schießt ihm jetzt auch noch ins Knie. Nicht daß ich ein Fan von Lafontaine wäre, aber zumin-
dest hatte er eine Idee für die Platte. Jetzt steht Schröder allein da, kann kein Instrument spielen und versucht krampfhaft,
eine Band zusammenzustellen. Gleichzeitig steht er vor der Kamera und singt. Aber seine Musik berührt die Leute nicht.
Kohl hatte vielleicht eine Scheißband - Schröder hat gar keine.

Wie bewerten Sie den österreichischen Popstar Jörg Haider?

Der weiß ganz genau, was Pop ist. Vor Jahren gab es mal einen Fragebogen in der "Wienerin": Da hat sich Haider mit nack-
tem Oberkörper fotografieren lassen - ein richtiges Leni- Riefenstahl- Foto. Und wissen Sie, wen er als seinen Lieblings-
sänger genannt hat? Grönemeyer! Der kennt nix. Wenn sich auch in Deutschland so eine Figur am rechten Rand etablieren
würde, die würde ganz schnell in die Charts gehen.

Erschreckt es Sie, von einem Mann wie Jörg Haider umarmt zu werden?

Da steckt System dahinter, das ist clever, knallhartes Pop- Marketing. Haider hat das begriffen und weiß genau, welche Re-
gister er ziehen muß. Wenn Leute wie Haider sagen, sie hören Grönemeyer, dann versuchen sie, den an sich hohlen Begriff
Pop mit einer bestimmten Ideologie zu unterfüttern - genauso wie Hitler das schon gemacht hat. Auch der ganze Faschis-
mus war Popkultur: die Musik, die Filme, die Paraden, die Klamotten, die Erotik. Deshalb haben wir Deutschen bis heute ein
angeknackstes Verhältnis zu Pop.

Werden angesichts solcher Übergriffe altmodische Konzepte wie Pop und Widerstand wieder relevanter?

Ich gehöre schon so lange zum deutschen Pop- Establishment, daß sich irgendwann natürlich die Frage stellt, ob man über-
haupt noch nervös und reizbar und unbequem sein kann. Trotz aller Popularität, trotz all des Geldes, das man verdient, sollte
aber immer ein Stück Unberechenbarkeit bleiben. Da muß ein Sprengsatz drin sein. Man muß so lange Feuer machen, bis
die Masse aufwacht. Jeder Widerstand ist wichtig, egal wie klein er ist. Das gilt für mich nach wie vor.

Interessanterweise wurde Ihre letzte Platte "Bleibt alles anders" voriges Jahr als Ihre bislang privateste rezipiert.
War das Absicht?


Ich gehe nie mit einem Konzept an eine Platte heran. Ich schreibe aus meiner momentanen Situation heraus und merke
manchmal erst viel später, was ich eigentlich geschrieben habe. Das erschreckt mich selber zum Teil.

Sie haben Ihre Privatsphäre immer sehr rigoros verteidigt. Durch die Ereignisse vor einem Jahr, den Tod Ihres Bruders und
kurz darauf Ihrer Frau, wurde Herbert Grönemeyer schlagartig zum Thema für den Boulevard, wenn auch kein Skandal- und
Schmuddelthema.


Das war nicht zu verhindern, wobei es in diesem Fall halbwegs respektvoll passiert ist. Mit Medien umzugehen, ist grund-
sätzlich genauso schwierig, wie mit Erfolg umzugehen. Man ist für das Ergebnis aber immer auch selber mit verantwortlich.
Wenn man sich preisgibt, darf man sich hinterher nicht wundern, daß man eins in die Fresse kriegt. Ich habe mich nie zum
Verheizen preisgegeben.

Wie lange haben Sie nach den beiden Schicksalsschlägen gebraucht, bis Sie wußten, daß Sie weiter Musik machen
würden. Oder stand das gar nie außer Frage?


Es steht immer noch in Frage. Ich mache ja im Moment nichts anderes, als Vergangenes aufzubereiten, sei es durch Kon-
zerte, sei es durch ein Projekt wie "Pop 2000". Wie sich meine Musik weiter entwickeln wird, ob ich überhaupt irgendwann
wieder den Hunger finden werde, weiß ich noch nicht. Vielleicht wird es Jahre dauern. Im Moment bewege ich mich einfach
auf sicherem Terrain, ich weiß, daß die Musik, neben meinen Kindern, für mich das Einzige ist, woran ich mich festhalten
und womit ich Krämpfe lösen kann. Ich bin auf einem Weg, von dem ich nicht weiß, wohin er führt, vielleicht um Millimeter
vorangekommen. Ich werde auch immer wieder extrem zurückgeworfen. Das ist mit vielen Einbrüchen und Rückschlägen
verbunden.

Kostet es Sie heute mehr Überwindung als früher, auf die Bühne zu gehen?

Auf jeden Fall. Die Lieder haben eine ganz andere Bedeutung. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich meine eigenen
Texte seziere, wenn ich singe. Ich stehe da und denke mir, was hast du denn da geschrieben, was erzählen deine Lieder
eigentlich über dich? Früher war ich viel naiver und unbeschwerter auf der Bühne, nach dem Motto: Raus damit, hau weg den
Mist! Ich bin sensibler geworden.

Reden wir noch ein bißchen über Musik. Sie haben in den letzten Jahren heftig mit Dancefloor und Elektronik geflirtet.
Auch ein Remix von Kruder & Dorfmeister steht seit langem auf Ihrer Wunschliste.


Ich habe immer schon Remixes machen lassen, das weiß nur keiner. Es gibt auch eine Extended- Version von "Männer".
Ich bin als Künstler dafür verantwortlich, mich weiter zu entwickeln, und finde es deshalb wichtig, neue Einflüsse in meine
Musik aufzunehmen, nicht, um mich jung und modern zu geben, sondern um weiter zu kommen. Ich will nicht immer die-
selbe Suppe kochen, ich will Musik machen, die spannend bleibt, auch wenn es die Fans vielleicht irritiert. Sonst läuft man
in meiner Position irgendwann Gefahr, zu seiner eigenen Karikatur zu werden.

Was fasziniert einen Hochdruck- Arbeiter wie Sie an den sphärischen Spielereien von Triphop und Drum & Bass?

Daß mit einer sehr zurückgelehnten Attitüde eine unglaubliche Energie erzeugt werden kann. Da passiert vordergründig erst
mal gar nichts oder ziemlich wenig und entwickelt sich ganz langsam. Aber im Grunde ist es dieselbe, wenn nicht sogar
eine bessere Energie. Ich bin ja bekanntlich eher der dynamische Typ und komme aus einer Generation, die das Gefühl
hatte, alles sozusagen nach dem Hau- Rock- Prinzip machen zu müssen. "Bleibt alles anders" war der Versuch, ruhiger,
gelassener, entspannter zu werden.

Woher kam das Haudrauf- Ethos Ihrer früheren Musik? War das Zorn, Ungeduld?

Ungestüm. Überdruck. Peter Zadek hat mich immer erst zum Waldlauf geschickt, bevor ich auf die Bühne durfte. Ich hab nun
mal ein unglaubliches Energiepotential, dafür kann ich nichts. Das ist Nervosität und sicher auch Unsicherheit. Aber das legt
sich langsam.

Warum? Sind Sie weiser geworden?

Nein, ich rauche seit anderthalb Jahren.